In seiner ersten Regierungserklärung hat Gesundheitsminister Klaus Holetschek heute den Kurs der bayerischen Staatsregierung verteidigt. In seiner Rede dazu mahnt Martin Hagen, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag, eine Perspektive für die Bürgerinnen und Bürger an – und eine Öffnungsperspektive für die Schulen.
Die Rede des FDP-Fraktionsvorsitzenden im Wortlaut:
"Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die erste Regierungserklärung des neuen Gesundheitsministers gehört und müssen leider feststellen: Öffnungsperspektiven für die Bürgerinnen und Bürger bleibt die Staatsregierung weiterhin schuldig.
Unser Land geht jetzt in den vierten Monat eines Lockdowns, der ursprünglich als kurzer Wellenbrecher angekündigt war.
Wir sind froh und erleichtert, dass die Infektionszahlen seit Mitte Januar spürbar sinken. Bayernweit sind wir heute endlich wieder bei einer Inzidenz unter 100.
An dieser Stelle ein Dank an die Bürgerinnen und Bürger, die das durch ihr diszipliniertes Verhalten ermöglichen.
Noch wichtiger als die Infektionszahlen ist die Entspannung in den Krankenhäusern: Die Zahl der durch Covid-Patienten belegten Intensivbetten ist seit Anfang Januar um fast ein Viertel zurückgegangen.
Natürlich wäre es ein Fehler, jetzt alle Maßnahmen auf einen Schlag zurückzunehmen. Aber eine Perspektive für eine schrittweise Rückkehr zur Normalität, die muss die Politik aufzeigen.
Und dabei auch evaluieren, welche Bereiche der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens sich als Infektionstreiber erwiesen haben und welche nicht.
Auch welche Regeln sich bewährt haben und welche bei der Bevölkerung eher Verwirrung und Verdruss gestiftet haben.
Was aus Sicht der FDP jetzt als Erstes geboten ist, ist eine Öffnung der Schulen – nicht nur für die Abschlussklassen, sondern vor allem auch für die unteren Jahrgangsstufen.
So wie sie unser Nachbarland Baden-Württemberg zum 1. Februar, also am kommenden Montag, plant.
Die Schließung der Schulen ist eine enorme Belastung für die Familien. Sie verursacht drastische Kollateralschäden für die Bildungsbiografien und für die soziale Entwicklung der Kinder.
Und sie wird lange nachwirken. Das ifo-Institut hat berechnet: Der Schulausfall kostet unsere Volkswirtschaft langfristig bis zu 3,3 Billionen Euro. Das beeinträchtigt die ökonomischen Chancen einer ganzen Generation.
Wir sind überzeugt: Mit den entsprechenden Maßnahmen ist ein Corona-sicherer Schulunterricht möglich und er ist dringend geboten.
Im Bundeskanzleramt stellt man solche Überlegungen derzeit nicht an. Im Gegenteil: Ungeachtet sinkender Zahlen denkt man dort laut über immer weitere Verschärfungen nach.
Vor der letzten MPK war von einem noch strikteren Kontaktverbot die Rede und von der kompletten Einstellung des ÖPNV. Gestern konnten wir lesen, dass die Kanzlerin den Deutschen das Reisen verbieten möchte.
Man bekommt zunehmend den Eindruck, dass das Kanzleramt sich von der Lebensrealität der Menschen im Land abgekoppelt hat.
Der einseitig besetzte Beraterstab der Kanzlerin tendiert ja inzwischen in Richtung einer Zero-Covid-Strategie: Danach soll die Zahl der Infektionen durch einen radikalen Lockdown auf null gedrückt und das Virus in Deutschland ausgerottet werden.
Das ist ein Ausdruck von menschlicher Hybris, meine Damen und Herren.
Erstens ist Deutschland keine isolierte Südseeinsel, sondern ein international hochgradig vernetztes Binnenland im Herzen Europas.
Und zweitens lässt sich ein Land nicht einfach so herunterfahren, wie es sich manche Theoretiker vorstellen.
Denn es sind ja nicht nur Ärzte und Pfleger systemrelevant, sondern auch der Handwerker, der im Krankenhaus die Heizung repariert. Lebensmittel wachsen nicht im Supermarkt, sie müssen angebaut, verarbeitet und transportiert werden.
Unsere moderne, arbeitsteilige Gesellschaft ist komplex. Die Politik darf nicht weltfremden Ideologien folgen, sondern muss die Wirklichkeit im Blick haben.
Sie sollte sich möglichst breiter Expertise unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen bedienen.
Und sie braucht – das hat Helmut Kohl einmal geschrieben – 'Gespür für das Machbare, auch für das dem anderen Zumutbare'.
Unsere Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität ruht heute auf den Impfstoffen, die die Bevölkerung Schritt für Schritt gegen das Virus immunisieren.
Umso ärgerlicher ist es – Herr Ministerpräsident, da teile ich ihre Kritik – wie schleppend wir da in Deutschland vorankommen.
Israel hat Stand heute gemessen an der Bevölkerung 20-mal so viele Bürger geimpft wie wir.
Die Arabischen Emirate 12-mal so viel.
Großbritannien fünfmal so viel.
Bahrein viermal so viel.
Die USA – und da waren wir uns ja vor kurzem noch einig darin, wie miserabel deren Regierung diese Pandemie managt – haben dreimal so viel geimpft.
Auch EU-Länder wie Dänemark, Irland, Spanien oder Italien liegen vor uns.
Aber insgesamt bleibt doch der Eindruck eines Versagens insbesondere auf europäischer Ebene bei der Beschaffung von Impfstoffen:
Es wurde schlecht verhandelt, es wurde an der falschen Stelle gespart, es wurde zu spät und zu wenig in den Aufbau von Produktionskapazitäten investiert.
Die Folgen dieser Fehlleistungen sind drastisch: Jede Woche mit zu wenig Impfstoff kostet uns Geld, kostet uns Freiheit und kostet vor allem Menschenleben.
Wir müssen jetzt gemeinsam mit allen staatlichen Ebenen, mit der Pharmaindustrie und der Ärzteschaft pragmatische Lösungen finden, um mehr und schneller zu impfen.
So wie der Impfstoff im Kampf gegen Corona unsere Hoffnung nährt, so besorgt uns das Auftauchen neuer Mutationen.
Dass Viren mutieren, ist zunächst mal ein normaler Vorgang. Gefährlich an der neuen Corona-Variante B117 ist ihre höhere Infektiosität, dass sich das Virus also schneller verbreiten kann.
Aus diesem Grund fordern wir heute in unserem Dringlichkeitsantrag ein flächendeckendes zweistufiges Testverfahren: Alle positiven PCR-Tests sollen auf die bisher bekannten Corona-Mutationen untersucht werden.
Die Gesundheitsämter können dann ihre begrenzten Kapazitäten auf diese Fälle konzentrieren, um die Ausbreitung der ansteckenderen Virus-Varianten einzudämmen.
Außerdem ist es wichtig, dass wir frühzeitig Kenntnis von neuen, noch unbekannten Mutationen erlangen.
Die FDP-Fraktion hat schon im Sommer die Genomanalyse von Corona-Testproben, die sogenannte Sequenzierung, angeregt. Es ist gut, dass die Kapazitäten dazu jetzt endlich ausgebaut werden.
Mutationen sind kein Grund zur Panik. Aber wir müssen sie im Blick behalten. Denn je mehr wir wissen, desto besser können wir reagieren.
Meine Damen und Herren, in der letzten Plenarsitzung am 8. Januar hat meine Fraktion einen Berichtsantrag gestellt.
Wir wollten wissen, wie es um die Umsetzung der Regierungsbeschlüsse vom 6. Dezember bestellt ist. Denn damals haben Sie ja eine ganze Reihe sinnvoller und überfälliger Maßnahmen beschlossen – Dinge, die die FDP lange gefordert hat:
Den Einsatz einer einheitlichen Software durch die Gesundheitsämter.
Die Sicherstellung der Kontaktnachverfolgung, notfalls durch zusätzliches Personal.
Den Schutz von Alten- und Pflegeheimen mit FFP2-Masken und Schnelltests.
Einen funktionierenden Wechselunterricht an den Schulen.
Homeoffice im Öffentlichen Dienst.
Wir haben beantragt, dass die Staatsregierung dem Parlament darlegt, inwieweit Sie ihre Hausaufgaben inzwischen erledigt hat.
Sie, CSU und Freie Wähler, haben diesen Berichtsantrag abgelehnt. Und die Begründung des CSU-Kollegen Seidenath für die Ablehnung war – ich zitiere aus dem Protokoll:
'Es geht Ihnen um das Vorführen der Staatsregierung. Da haben wir jetzt wirklich Wichtigeres zu tun.'
Meine Damen und Herren: Wenn Sie davon ausgehen, dass die Staatsregierung durch die Darlegung ihrer Bilanz vorgeführt wird, dann lässt das tief blicken und nichts Gutes erwarten.
Wir bleiben bei unserer Forderung nach Transparenz. Und uns geht es nicht darum, irgendjemanden vorzuführen, sondern darum, dass wir gemeinsam besser werden bei der Bekämpfung dieser Pandemie!"