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HAGEN: Verschärfte Kontaktbeschränkung ist familien- und kinderfeindlich

In einer Sondersitzung hat der Bayerische Landtag heute über die verlängerten und verschärften Corona-Maßnahmen der bayerischen Staatsregierung debattiert. Die FDP-Fraktion hält viele der Maßnahmen für untauglich und alltagsfern. In seiner Rede nannte der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Hagen die verschärften Kontaktbeschränkungen familienfeindlich.

Die Rede des FDP-Fraktionsvorsitzenden im Wortlaut:

"Wäre es nach CSU und Freien Wählern gegangen, wären wir heute alle nicht hier. Wir wären noch in der parlamentarischen Winterpause.

Es war die Opposition des Bayerischen Landtags, die den Regierungsfraktionen diese Sondersitzung abringen musste. Ihre Vertreter, liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU und Freien Wählern, haben uns am Montag noch gesagt: Diese Sitzung brauche es doch eigentlich nicht, denn die Regierung würde ja lediglich die bestehenden Regeln verlängern, sonst ändere sich nichts. Das bedürfe keiner parlamentarischen Debatte.

Am Dienstagabend einigten sich die Ministerpräsidenten dann bekanntlich nicht nur auf eine Fortsetzung des Lockdowns, sondern auf Verschärfungen, die in der Öffentlichkeit seitdem hochgradig kontrovers diskutiert werden. Ein Glück, dass die Opposition in diesem Haus hartnäckig geblieben ist, sonst wäre es ausgerechnet der Bayerische Landtag, die Herzkammer unserer Demokratie, in der diese Diskussion nicht stattfände.

Und Diskussionsbedarf gibt es. Wie mein Vorredner von der SPD, so habe auch ich, so hat auch meine Fraktion erhebliche Zweifel an den neuen Maßnahmen, und deshalb stimmen wir dem Antrag der Regierungsfraktionen heute auch nicht zu. Das hat insbesondere zwei Gründe:

Zum einen geht es um die Frage, welche neuen Erkenntnisse oder Entwicklungen denn jetzt Anfang Januar vorliegen, die diese Verschärfungen plötzlich notwendig machen. Was ist heute anders als vor vier Wochen?

Im Beschluss der Ministerpräsidenten heißt es: 'Eine präzise Einschätzung der Entwicklung des Infektionsgeschehens ist am Beginn des neuen Jahres außerordentlich schwierig.' Zu Deutsch: Wir wissen noch zu wenig.

Ich habe Verständnis dafür, dass man angesichts dieser unklaren Datenlage von weitreichenden Lockerungen absieht. Aber auf Basis eben dieser unklaren Datenlage die Freiheiten der Menschen noch weiter zu beschneiden, dafür fehlt mir das Verständnis. Grundrechtseinschränkungen nach Bauchgefühl sind nicht akzeptabel.

Das ist Punkt eins. Und Punkt zwei:

Wir halten die neuen Maßnahmen für untauglich und alltagsfern. Sie werden nach unserer Überzeugung nicht die Infektionszahlen senken, sondern nur die Akzeptanz der Corona-Politik.

Die Einschränkung des Bewegungsradius' in Landkreisen mit hoher Inzidenz zum Beispiel. Warum, frage nicht nur ich mich, sondern auch die Landräte von Deggendorf, Regen und Freyung-Grafenau, dürfen Auswärtige zum Wandern in den Bayerischen Wald fahren, Einheimische, die 15,5 Kilometer entfernt wohnen, aber nicht?

Oder: Warum ist es besser, wenn Großstädter sich am Wochenende zum Spazieren oder Rodeln in den städtischen Grünanlagen drängeln, als wenn sie sich im Umland verteilen?

Es kommt doch nicht darauf an, wie viele Kilometer jemand fährt, sondern darauf, dass er genügend Abstand zu anderen Menschen hält. Und wenn Sie glauben, da seien Ausflüge ins Grüne und Spaziergänge an der frischen Luft das Problem, dann schauen Sie sich mal an, wie es zu den Stoßzeiten in der Münchner U-Bahn aussieht.

Und was die Kontaktbeschränkung angeht: Ja, es ist derzeit notwendig, die Zahl der Kontakte zu reduzieren. Aber die neue Regelung – 'Private Zusammenkünfte werden nur noch im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstandes und mit maximal einer weiteren Person gestattet' – schießt übers Ziel hinaus. Insbesondere weil sie, anders als bisher, auch Kinder miteinschließt.

Das bedeutet, dass Kinder keine Freunde mehr sehen dürfen, wenn ihre Eltern dabei sind. Auch nicht im Freien. Es bedeutet, dass Eltern gemeinsam mit ihren Kindern niemanden mehr besuchen dürfen. Die Großeltern dürfen auch nicht zu Besuch oder zur Unterstützung der Eltern kommen. Jedenfalls nicht gleichzeitig – Oma und Opa müssen dann abwechselnd im Wagen warten. 

Diese verschärfte Kontaktbeschränkung ist familienfeindlich, sie ist kinderfeindlich und sie ist eine Regelung, die den Praxistest nicht bestehen wird. Und ich wiederhole, was ich an dieser Stelle hier schonmal gesagt habe: Es wäre besser, die wirklich wirksamen Maßnahmen konsequent umzusetzen als sich jede Woche neue Regeln auszudenken, die die Menschen am Ende doch nicht einhalten – weil sie einerseits nicht alltagstauglich sind und weil andererseits am Ende auch niemand mehr weiß, was eigentlich gerade erlaubt ist und was nicht.

Ohnehin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unterhalten wir uns heute schon wieder hauptsächlich über neue Einschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn es darum geht, ist die Regierung immer schnell bei der Hand.

Ich würde mir wünschen, dass Sie ähnlich viel Engagement zeigen, wenn es darum geht, was der Staat zur Eindämmung der Pandemie leisten kann.

Wir hatten hier vor einem Monat eine Debatte, da hat die Staatsregierung endlich eine ganze Reihe sinnvoller Vorschläge der FDP aufgegriffen. Das waren überfällige Maßnahmen zum professionellen Management dieser Pandemie, zum Schutz vulnerabler Gruppen und zur Gewährleistung von Schulunterricht.

Und wir wollen jetzt einen Monat später wissen (und deshalb stellen wir heute einen Berichtsantrag): Was ist davon umgesetzt worden? Konkret:

  • Wie sieht es aus mit der Sicherstellung einer vollständigen Kontaktnachverfolgung und, wo notwendig, mit personeller Verstärkung etwa durch Kräfte von Polizei und Bundeswehr?
  • Wie sieht es aus mit der bayernweit einheitlichen Verwendung des digitalen Programms 'SORMAS' durch die Gesundheitsämter?
  • Wie sieht’s aus mit der Umsetzung des Wechsel- bzw. Distanzunterrichts an den Schulen? Herr Piazolo zuckt schon zusammen, da läuft am Montag ein Ultimatum des Ministerpräsidenten aus.
  • Wie sieht’s aus mit der Umsetzung der Schutzmaßnahmen für Alten- und Pflegeheime, mit FFP2-Masken und Schnelltests? 
  • Und wie sieht’s aus mit der Genehmigung von Homeoffice bei allen staatlichen Dienstposten?

All das hatten wir lange gefordert, all das haben Sie am 6. Dezember im Kabinett beschlossen. Und die bayerische Öffentlichkeit, der Sie viel abverlangen, hat ein Recht darauf, zu erfahren, inwieweit Sie Ihre Hausaufgaben erledigt haben, meine Damen und Herren.

Deshalb mein Appell: Stimmen Sie unserem Antrag zu und berichten Sie dem Landtag in der nächsten Sitzung, was Stand der Dinge ist!

Werte Kolleginnen und Kollegen, Ende Oktober hat die Staatsregierung den sogenannten Wellenbrecher-Lockdown beschlossen, vier Wochen sollte er ursprünglich dauern. Inzwischen befinden wir uns im dritten Monat eines Lockdowns, der alle paar Wochen verschärft wurde und wird.

Wir alle hier sind uns einig, dass es Aufgabe der Politik ist, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, deswegen mussten wir den Anstieg der Infektionen bremsen, deswegen wollen wir die Zahlen weiter senken. Aber eins ist doch auch klar: Dieser Lockdown ist keine langfristig durchhaltbare Strategie. Er verursacht enorme gesellschaftliche, wirtschaftliche und psychologische Kollateralschäden.

Wir müssen deshalb darüber sprechen, unter welcher Maßgabe auch irgendwann wieder eine schrittweise Rückkehr zur Normalität möglich ist – auch regional differenziert. Eine flächendeckende Inzidenz unter 50, die der Ministerpräsident als Ziel nennt, oder gar unter 25 wie es Karl Lauterbach fordert, ist in diesem Winter unrealistisch. Es gibt aktuell in ganz Europa so gut wie kein Land, das unter dieser Schwelle liegt.

Ich sag’s Ihnen, wie es ist: Wer das als Ziel festlegt, der erklärt de facto nichts anderes als einen harten Lockdown bis weit ins Frühjahr hinein. Das wollen wir Freie Demokraten nicht.

Die Infektionszahlen sind ein wichtiger Faktor, aber die 50er-Inzidenz ist nicht die heilige Kuh der Corona-Politik. Wir müssen auch andere Kriterien in den Blick nehmen. Wir brauchen einen breiten, einen umfassenden Maßstab für unsere Politik.

Wir treten jetzt durch den Start der Impfungen auch in eine neue Phase der Pandemiebekämpfung ein. Das ändert die Situation, denn in dem Maß, wie die Bevölkerungsgruppen, die ein besonders hohes Risiko schwerer Verläufe haben, nach und nach durch die Impfungen immunisiert werden, retten wir Leben und nehmen wir auch Druck von unseren Krankenhäusern.

Also, setzen wir jetzt alles daran, mit dem Impfen so schnell wie möglich voranzukommen. Setzen wir die Impfstrategie zügig und professionell um (nicht mehr mit Camping-Kühlboxen, Herr Holetschek). Beziehen wir die niedergelassenen Ärzte besser ein und loten wir auch Möglichkeiten aus, die Produktion von Impfstoff nochmal zu beschleunigen.

Je schneller wir damit vorankommen, desto schneller schaffen wir auch eine Öffnungsperspektive für Gesellschaft und Wirtschaft. Diese Perspektive brauchen die Menschen in unserem Land ganz dringend. 2020 war ein Jahr der Krise, 2021 muss ein Jahr der Hoffnung werden."