Martin Hagen, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag, hielt gestern auf dem virtuellen Landesparteitag der FDP Bayern folgende Rede:
"Liebe Freundinnen und Freunde, ein Ausnahmejahr neigt sich dem Ende zu. Es war ein Jahr, das für viele Bürger mit existentiellen Sorgen verbunden war. Sorgen um ihre Gesundheit und um die ihrer Angehörigen, aber auch Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre wirtschaftliche Existenz oder um die Bildungs- und Entwicklungschancen ihrer Kinder.
Auch für die bayerische Landespolitik war es ein Ausnahmejahr. Und ich bin wirklich stolz auf meine Kolleginnen und Kollegen der Landtags-FDP, dass es uns mit unserem konstruktiv-kritischen Kurs gelungen ist, als kleinste Fraktion – wie es die Süddeutsche Zeitung schrieb – 'zu Beginn der Krise die Hauptrolle unter den Oppositionsparteien' zu übernehmen.
Wir haben von Beginn an eigene Vorschläge eingebracht – angefangen bei der Maskenpflicht im März über unsere Exit-Strategie im April, unsere Teststrategie, unser Konzept zum Umgang mit einer zweiten Welle, bis hin zu unserem aktuellen Vorschlag der Massen-Antigentests in Hotspots.
Wir haben auch von Beginn an sinnvolle und notwendige Maßnahmen der Regierung unterstützt – gleichzeitig aber immer auch Augenmaß und Verhältnismäßigkeit angemahnt. Jede Maßnahme muss notwendig, geeignet und angemessen sein, insbesondere wenn sie in Grundrechte eingreift. Welche Partei sollte denn auf diesen Grundsatz bestehen, wenn nicht die bayerische FDP, wenn nicht die Partei von Thomas Dehler, Hans Engelhard, Max Stadler und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger?! Ich bin stolz auf diese bürgerrechtsliberale Tradition und fühle mich ihr verpflichtet.
Wir haben auch von Beginn an eine Beteiligung des Parlaments gefordert. Wir haben im Mai einen Gesetzentwurf dazu eingebracht. Weil wir überzeugt sind, dass wesentliche Entscheidungen von den gewählten Volksvertretern zu treffen sind, nicht von der Exekutive.
Und wir legen den Finger in die Wunde, wo die Staatsregierung versagt: Sei es bei den Testpannen im Sommer oder bei Gesundheitsämtern, die immer noch per Fax kommunizieren. Sei es beim digitalen Unterricht oder den sogenannten Soforthilfen, die monatelang auf sich warten ließen.
Ob Gesundheitsministerin Huml, Kultusminister Piazolo oder Wirtschaftsminister Aiwanger: Keiner von denen macht in der Krise eine besonders glückliche Figur. Und für Markus Söder gilt: Wenn seine Politik nur halb so erfolgreich wäre wie seine Inszenierung als Corona-Macher, dann würde Bayern im Ländervergleich nicht bei allen relevanten Kennzahlen zu den Schlusslichtern gehören.
Heute lesen wir, dass Söder morgen schon wieder neue Maßnahmen beschließen will. Ich glaube, es wäre besser, bestehende Regeln, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, mal wirken zu lassen, als wöchentlich neue Regeln zu erlassen, die die Bürger gar nicht mehr überblicken können.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich bin überzeugt, es ist Aufgabe der Politik, eine bestmögliche medizinische Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Und dazu gehört es auch, eine Überlastung der Krankenhäuser durch Covid-19-Patienten zu verhindern. Deshalb mussten wir den Anstieg der Neuinfektionen bremsen. Da sind wir mit Markus Söder, da sind wir mit allen demokratischen Fraktionen einer Meinung.
Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass es unsere Aufgabe ist, besonders vulnerable Gruppen besser als bisher vor Infektionen zu schützen – da wünsche ich mir mehr Anstrengungen des Staates, mehr Anstrengungen als die Regierung sie bisher zeigt. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch.
Was aber nicht Aufgabe des Staates sein kann, ist, seine Bürger um jeden Preis von allen individuellen Lebensrisiken zu befreien. Eine Gesellschaft, die den Staat dazu ermächtigt, wäre keine freie, wäre keine liberale Gesellschaft mehr.
Wir werden diese Pandemie überwinden. Und, nur nebenbei: Dass wir alle jetzt unsere Hoffnungen auf einen genbasierten Impfstoff richten, den ein von türkischen Einwandererkindern gegründetes Start-up entwickelt hat, das freut mich auf mehreren Ebenen: Als Fan der Marktwirtschaft und des Unternehmertums, als Fan des technologischen Fortschritts ohne ideologische Scheuklappen, als Fan der Globalisierung und der offenen Gesellschaft.
Also: Wir werden diese Pandemie überwinden, und dann wird es darauf ankommen, den liberalen Charakter unseres Landes wieder zu stärken. Denn ich mache mir schon Sorgen, dass Politik und Gesellschaft sich im Verlauf dieser Krise an bestimmte Dinge zu sehr gewöhnen: An die Dominanz der Exekutive zum Beispiel, zulasten des Parlamentarismus. Oder an den leichtfertigen Umgang mit Grundrechten. Dass sich zunehmend derjenige rechtfertigen muss, der Freiheiten gewähren und nicht derjenige, der sie einschränken will. Daran, dass Geld keine Rolle spielt, weil es ja scheinbar wie Manna vom Himmel regnet. Dass ganze Wirtschaftszweige an den Subventionstopf gelegt oder im Zweifel verstaatlicht werden.
Es ist unsere Aufgabe als Liberale, darauf zu achten, dass aus dem Notstandsmodus nicht das 'New Normal' wird. Wir wollen aus Parlamentariern keine Statisten machen, aus Unternehmern keine Almosenempfänger und aus Bürgern keine Untertanen.
Und wenn das Krisenjahr 2020 den Etatismus gestärkt hat, dann ist es unsere Aufgabe als FDP, in den kommenden Jahren wieder den Einzelnen zu stärken – mit seinen Rechten, mit seinen Chancen, mit seiner Freiheit und mit seiner Verantwortung für sich und für andere.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir stehen ja am Beginn eines neuen Jahrzehnts. Und meine Fraktion hat sich auf ihrer Klausurtagung Anfang des Jahres das Leitmotiv gegeben: 'Bayern von morgen'. Dieses Bayern von morgen wird – ganz unabhängig von der derzeitigen Corona-Pandemie – anders aussehen als das Bayern von heute. Denn eine ganze Reihe von Megatrends verändert unser Land und stellt uns vor neue Herausforderungen, ich möchte kurz auf vier davon eingehen:
Erstens die Digitalisierung: Wir müssen unseren Wohlstand und unsere wirtschaftliche Stärke in Zeiten disruptiver technologischen Entwicklungen behaupten. Die Pandemie wirkt da als Katalysator, sie beschleunigt die Entwicklung, abzulesen zum Beispiel am Aktienkurs von Amazon. Und auch der Staat und seine Behörden müssen endlich den Schritt in die digitale Zukunft wagen. Unsere Landtagsfraktion hat mehr als 100 Digitalisierungsprojekte in allen Fachbereichen identifiziert und wir bringen kontinuierlich Initiativen dazu ein.
Zweitens die Demografie: Im vergangenen Jahr haben sich die Zahl der Renteneintritte und die Zahl der Schulabsolventen in Bayern noch die Waage gehalten, jeweils 130.000. Bis Mitte des Jahrzehnts wird sich die Zahl der Renteneintritte mehr als verdoppeln. Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, das ist ein enormer Stresstest für unsere Sozialsysteme und für unseren Arbeitsmarkt, der Fachkräftemangel ist für viele Unternehmen seit Jahren das Thema Nummer 1. Wir werden um eine höhere Lebensarbeitszeit nicht herumkommen, wir müssen die Erwerbsbeteiligung von Eltern erhöhen und wir brauchen dringend Zuwanderung. Bayern ist ein Einwanderungsland und muss sich auch als solches verstehen.
Vierten die Urbanisierung: Während die großen Städte unter steigenden Mieten und Verkehrskollaps leiden, kämpfen ländliche Räume mit dem Strukturwandel. Beide Probleme müssen wir angehen. Die Landtagsfraktion hat ein umfassendes Mobilitätskonzept vorgelegt, wir haben zahlreiche Änderungsanträge zur bayerischen Bauordnung eingebracht, um mehr Wohnraum zu ermöglichen. Und wir werden die Stärkung des ländlichen Raums zu einem Schwerpunkt unserer Klausurtagung im Januar machen.
Vierten der Klimawandel: Wir müssen dieser Menschheitsaufgabe mit wirksamen Maßnahmen begegnen, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit und unsere freiheitliche Lebensweise aufzugeben. Ein zahnloser Papiertiger wie das gerade beschlossene bayerische Klimaschutzgesetz bringt uns da nicht weiter. Wir setzen auf die Marktmechanismen des europäischen Emissionshandels.
Liebe Freunde, all diese und weitere Entwicklungen verändern unser Land. Die Weichenstellungen der nächsten Jahre werden darüber entscheiden, wie das Bayern von morgen aussieht. Ich bin überzeugt, dass wir die Zukunft am besten mit liberalen Ideen und Konzepten sichern können. Ich freue mich darauf, diese Ideen und Konzepte gemeinsam mit Euch zu entwickeln und umzusetzen.
'Mission Aufbruch', packen wir’s an, auf einen erfolgreichen Parteitag!"