Nach dem antisemitisch motivierten Anschlag in Halle hat der Bayerische Landtag heute das Thema Antisemitismus in seiner Aktuellen Stunde behandelt. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Hagen hat in seiner Rede dazu aufgefordert, dem Antisemitismus und jeder Art von Menschenfeindlichkeit entschlossener entgegentreten.
Die Rede im Wortlaut:
"Die heutige Aktuelle Stunde beschäftigt sich mit dem Thema Antisemitismus. Trauriger Anlass dafür ist der Anschlag letzte Woche in Halle. Er hat zwei Menschen das Leben gekostet: Jana L. und Kevin S. Sie waren willkürliche Opfer, zur falschen Zeit am falschen Ort. Dass die beiden nicht das eigentliche Ziel des Anschlags waren, macht ihren Tod nicht weniger tragisch, den Schmerz ihrer Hinterbliebenen nicht erträglicher.
Gegolten hat der Anschlag von Halle der jüdischen Gemeinde. Nur eine verriegelte Tür stand letztlich zwischen dem schwer bewaffneten Rechtsextremisten Stephan B. und den 51 Männern, Frauen und Kindern, die sich zu Yom Kippur in der Synagoge versammelt hatten.
Der Attentäter wollte ein Massaker anrichten. Er war besessen von der Wahnvorstellung einer 'jüdischen Weltverschwörung'. Der Anschlag von Halle war kein 'Alarmsignal'. Alarmiert hätten wir schon längst sein müssen.
Erfurt, Düsseldorf, Essen, Berlin, Worms, Mainz, Wuppertal – in all diesen Städten gab es in den vergangenen 20 Jahren Brandanschläge auf Synagogen. 2003 planten Neonazis hier in München ein Bombenattentat auf die Grundsteinlegung der Ohel-Jakob-Synagoge. Fast 12.000 antisemitische Straftaten wurden seit 2010 in Deutschland registriert – von Hakenkreuz-Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen bis zum versuchten Totschlag.
Wo können wir also ansetzen?
Konsequenteres Vorgehen gegen Hasskommentare im Internet, verstärkte Beobachtung einschlägiger Internetforen, Straffung der deutschen Sicherheits-Architektur und besserer Austausch zwischen den Behörden, mehr Polizeipräsenz auf der Straße, keine Kürzungen bei Präventions- und Aussteigerprogrammen, bessere Vermittlung von politischer Bildung, Medienkompetenz und religiöser Toleranz an Schulen.
Die Liste ist natürlich unvollständig.
Der Hass gegen die Juden kennt viele Formen. Im Mittelalter zeigte er sich als religiös motivierter Antijudaismus, in der Neuzeit in Form kruder Rassentheorien. Im Gewand des Antikapitalismus richtet er sich gegen ein angebliches Finanzjudentum – die moderne Chiffre lautet 'Ostküste'.
Mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 kam eine neue Form der Feindschaft gegen die Juden auf: Der Antizionismus, der sich gegen die Existenz des jüdischen Staates richtet.
Natürlich ist Kritik an der Politik Israels nicht per se antisemitisch. Aber die Besessenheit, mit der mancher sich ausgerechnet an der einzigen liberalen Demokratie im Nahen Osten abarbeitet, lässt mitunter tief blicken.
Das betrifft leider auch die Vereinten Nationen: 26 Resolutionen hat die UN-Vollversammlung im vergangenen Jahr verabschiedet, in denen ein Mitgliedsstaat verurteilt wurden. 21 davon richteten sich allein gegen Israel. Nicht gegen Syrien, nicht gegen Nordkorea, nicht gegen Saudi-Arabien, nein: gegen Israel.
Auch Deutschland hat 16 dieser 21 Resolutionen zugestimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfinde das als Schande. Wenn es uns ernst ist mit der Aussage, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson, dann darf sich unsere Außenpolitik nicht an der systematischen Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates beteiligen.
Antisemitismus war immer präsent in der deutschen Gesellschaft. Aber verschließen wir deshalb nicht die Augen vor dem neuen Antisemitismus, den leider viele Einwanderer aus muslimischen Ländern mitbringen. Auch hier darf es keine Verharmlosung geben, keinen kulturellen Rabatt.
Wenn Juden in bestimmten Vierteln aus Angst vor Übergriffen ihre Kippa absetzen, wenn Israelis auf der Straße bespuckt werden, sobald sie Hebräisch reden, wenn am Al-Quds-Tag in Berlin Demonstranten antisemitische Parolen skandieren, dann muss der deutsche Rechtsstaat seine Zähne zeigen.
Und gerichtet an die AfD: Sie sind Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Sie haben Holocaustleugner in Parlamente gebracht, ihr Thüringer Spitzenkandidat fordert die erinnerungspolitische 180-Grad-Wende, ihr Bundestagsfraktionschef bagatellisiert die NS-Zeit als 'Vogelschiss der Geschichte'. Sie sind mitverantwortlich für die Verrohung, den Hass und die Hetze, die unser Land vergiften und die in letzter Konsequenz Menschen wie Stephan B. zu ihren Taten animieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dem Antisemitismus und jeder Art von Menschenfeindlichkeit entschlossener entgegentreten. Wir, damit meine ich die Politik, den Staat, aber auch uns alle als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Hören wir nicht weg, wenn in unserem persönlichen oder beruflichen Umfeld abfällig über Juden oder andere Minderheiten gesprochen wird. Widersprechen wir, laut und deutlich.
Jüdinnen und Juden müssen sich in Deutschland sicher fühlen können. Sie müssen sich zuhause fühlen können. Können Sie es nicht, haben wir als Politik und als Gesellschaft versagt."